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Schach in Göttingen
Reine Kopfsache
Helmut Schmidt, rauchend und mit kühlem Pokerface das Schachbrett musternd, bei einer Partie mit Peer Steinbrück oder Giscard- d‘Estaing, das wäre so eine ikonographische Schachbildinszenierung: der Staatenlenker als kühler Stratege. Oder als Opposition der spä- te Bobby Fischer als verwahrlost aussehender Ex-Weltmeister: das (w)irre Genie des königli- chen Spiels.
Alles Unsinn. Denn Schach ist nicht, dem Klischee gehorchend, das Monopol intellektueller Männer oder spookiger Nerds, sondern eine spannende Angele- genheit für Menschen jedweden Geschlechts und Alters. So erklärt es zumindest Manfred Tietze, der Vorsitzen- de des Schachvereins SC Tempo Göttingen. Als Erstes reize natürlich der Wettkampfcharakter, das Messen mit dem Geg- ner, das Ermitteln des Besten – deshalb ist Schach laut Tietze »auch« ein Sport, sogar ein »richtig harter«. Im Grunde sei Schach ein Kampfsport wie Boxen, »die Schläge des Gegners treffen die Seele«: wenn man die Unaufhaltsamkeit der dro- henden Niederlage erkannt habe, müsse man das verkraften
können. Dass Schach deshalb aber eine besonders starke psy- chologische Dimension hat, bestreitet Tietze, vielmehr zeichne sich Schach dadurch aus, das jeder jederzeit alles sehen kann anhand der Konstellation auf dem Brett. Auch wenn Schach Kopfsache ist und die spannenden Prozesse in der Analyse des Spiels und der Antizipation der kommenden Züge bestehen, gibt es keine Geheimnisse, zumal man sich zumindest im Wett- kampfsport auf die Spiele vorbereite und den Gegner in der Regel gut kenne. Alles ganz normal also – und das Bild vom Schachspieler als leicht verschrobenem Einzelgänger finde man in der Realität allenfalls als Ausnahme. Dass Schach Spiel- sucht auslösen und Spieler in die soziale Isolation treiben kann, bestreitet Tietze nicht, doch finde man dieses Phänomen schließlich auch in anderen Lebens- und Sportbereichen – und im Schach am ehesten im Leistungssport.
Für den steht in Göttingen der SC Tempo – ein 1922 gegründe- ter Verein, der auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückbli- cken kann. Immerhin gewann der lange Zeit einzige reine Schachklub Göttingens in den 50er Jahren die niedersächsische Mannschaftsmeisterschaft, spielte 1976/77 in der Ersten und noch 2013/14 in der Zweiten Bundesliga. Heute spielt die Erste Mannschaft drittklassig in der Oberliga Nord – mehr sei nicht mehr möglich, da die Spieler in Erster und Zweiter Bundesliga inzwischen Vollprofis und der Spielbetrieb für einen Verein wie Tempo nicht mehr finanzierbar sei – zumal er sich ausschließ-