Page 24 - Freizeitarena
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trends
calisthenics
Eine Mischung aus Turnstunde und Zirkus
Ausgesprochen entspannt ist die Stimmung an diesem wohl- temperierten Junispätnachmittag. Ein Dutzend junge Leute tru- deln nach und nach auf dem kleinen Platz hinter dem Haus des Sports ein. Man begrüßt sich freundlich und vertraut, ein Ghet- toblaster wird aufgebaut, in moderater Lautstärke ertönt moti- vierende Musik, dann fängt man mit leichten Aufwärmübungen an. Alles atmet die Stimmung des chilligen After-Work-Treibens einer Gruppe Gleichgesinnter, die zwar locker assoziiert sind, ihre dennoch vorhandene Gemeinschaft aber durch ein selbst entworfenes Logo auf den schwarzen Shirts demonstrieren. Was dann folgt, sieht alles andere als locker-fluffiges Sporteln aus: Zu bestaunen ist eine ehrfurchteinflößende Mischung aus Turnstunde und Zirkusvorführung.
»Calisthenics« ist zwar ein aus dem Griechischen entlehntes Wort, das die Bestandteile »kalos« (schön) und »sthenos« (Kraft) verbindet, stammt aber wie so viele Trends aus den USA, wo sich der Sport erst vor kurzer Zeit, um die Jahrhundertwen- de, als Alternative zur Muckibude entwickelt hat. Grundsätzlich wird Calisthenics an der frischen Luft praktiziert, kostet mithin nichts und kommt, abgesehen von Gewichtswesten und elasti- schen Bändern, ohne Geräte und Technik aus. Vorhandene Inf- rastruktur, z.B. alte Trimm-Dich-Anlagen, wird ebenso genutzt wie alles andere, was an Reck, Sprossenwand oder Barren erin- nert und entsprechende Übungen ermöglicht. Klassische Ele- mente des Kunstturnens werden kombiniert mit modernen Movements aus Breakdance und Freerunning. Das Ergebnis ist eine atemberaubende Melange unterschiedlicher Figuren und Elemente, die man in Gruppen, Zweierteams oder ganz für sich allein entwickelt und vorführt und die in der Regel englische
Namen tragen. Hinter Squats, Pull Ups, Planches verbergen sich die gute alte Kniebeuge, der Klimmzug und die Stützwaage – traditionelle Dinge, denen gemeinsam ist, dass bei ihnen mit dem eigenen Körpergewicht gearbeitet wird, in einer Art, die allerdings von aller Schwere befreit zu sein scheint. Überhaupt ist Freiheit ein dominierender Eindruck: Die Überwindung der Schwerkraft, die Freiheit, den Trainingsrhythmus ebenso nach eigenem Gusto zu wählen wie die Art und Abfolge der einzelnen Elemente, all das ist als Freude an der Sache bei allen Beteilig- ten spürbar, ungebunden trifft man sich in einer Gruppe, in der dennoch (oder deshalb) ein großer Zusammenhalt herrscht. Man feuert sich an, lobt einander, indem man den Leistungsfort- schritt feststellt, flachst, hat Spaß. Der steht auch generell im Vordergrund: Obwohl es seit 2011 Welt- und seit 2014 Deutsche Meisterschaften gibt, bei denen in »Battles« Mann gegen Mann, Frau gegen Frau antreten und von einer Jury bewertet werden, ist Calisthenics noch eine junge, weitgehend durch das Internet inspirierte Sportart, die auch noch nicht vollständig von den kommerziellen Gesetzen erfasst wurde, die über kurz oder lang jeden Trendsport einfangen.
F
ein Praktikum absolviert hat und nach einer abgeschlossenen Ausbildung zum Bürokaufmann derzeit als Verwaltungsange- stellter am Physik-Institut der Uni arbeitet, erzählt, wie sich, ausgehend von einem harten Kern von vier Aktiven, rasch immer mehr Leute zusammenfanden. Bei Wind und Wetter, zu
inn Krummacker gehört zu den Pionieren, die vor vier Jahren, angeregt durch Internet-Filme, in Göttingen die Calisthenics-Szene begründet und die Geräte am Jahn-
stadion genutzt haben. Der 23-Jährige, der bei der GoeSF


































































































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