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Der große »Freizeitarena«-Essay
Der Mann, den sie
Acker nannten
Vom Verlust der Kampfnamen im deutschen Fußball
Nachdem wieder einmal (pünktlich zum Erscheinen die- ser Ausgabe!) eine neue Spielzeit der Fußballbundes- liga begonnen hat, werden wir erneut zahlreiche nam- hafte Fußballspieler bei der Ausübung ihres Berufes
bewundern können, denn »große Namen scheinen große Spie- le zu garantieren« (Klaus Theweleit). Noch ein wenig gespann- ter freilich ist man immer wieder auf jene derzeit noch Nobodys, die sich aus dem Nichts heraus im Zeitraum der anstehenden Saison einen Namen zu machen anschicken. So wie zuletzt zum Beispiel der Münchner Joshua Kimmich, der es binnen Jahres- frist gar zum Nationalspieler und EM-Aktivisten brachte. Wohin- gegen: einen Namen »gemacht«? Joshua Kimmich hieß und heißt schließlich immer noch: Joshua Kimmich!
Das war »früher« anders, als sich Spieler fürwahr Namen machten beziehungsweise welche gemacht bekamen: Spitz- und Kampfnamen zwecks oft Verspottung und öfter noch Huldi- gung ihrer Leistungen und Eigenschaften, eingedenk des Umstands, dass der Name das stärkste Symbol für die Einma- ligkeit eines Menschen ist seit alters. Vor allem in den 1960er Jahren war die Spitznamenvergabe gang und gäbe. In der noch jungen »Eliteliga« liefen zuhauf Kicker herum, deren bürgerli- che Namen pointierende Beiwörter erhielten: Da durchpflügte »Acker« Weist kraftvoll erst für Borussia Dortmund und dann den SV Werder Bremen den grünen Rasen, stand »Tanne« Fich- tel wie ein Baum in den Strafräumen seiner diversen Arbeitge- ber, pflegten »Bulle« Weber (1. FC Köln) und desgleichen »Bul- le« Roth (Bayern München) das körperbetonte Spiel, durchkurv- ten »Zickzack« Matischak (Werder Bremen) und nicht minder »Zickzack« Roggensack (Arminia Bielefeld) hasenhaft der Kon- trahenten Reihen, während Bernd »Hammer« Nickel mit schmiedehartem Bums die direkte Verbringung des Balles ins gegnerische Gehäuse präferierte. Nicht zu reden vom »Bom- ber« Müller (Gerd, nicht Thomas o. s. ä.). Sie alle handelten so, weil sie von Trainern geführt wurden, deren didaktische Kon- zepte rein gar nicht von Prinzipien der antiautoritären Erziehung tangiert waren. Von Max Merkel, dem »Mann mit der Peitsche«, oder dem »eisernen Fritz« Langner wurden sie gedrillt und geschliffen zum athletischen Kick und dafür von den staunen- den Zuschauern mit Kampfnamen geadelt für martialisches Tun und Treten.
Allerdings ging es nicht nur hart und ernst zu, auch der liebe- voll-lustige Spitzname kam vor: »Emma« Emmerich, »Hoppy« Kurrat, »Aki« Schmidt, »Pico« Schütz und viele andere wurden
nahezu eins mit ihren Nicknames, die offenkundig schwer- punktmäßig beim Meidericher SV reüssierten: »Da war der ›Pit- ter‹, der bürgerlich immer nur Dieter hieß, ›Pille‹ und ›Eia‹ oder ›Lullu‹«, berichtet das Autorenduo Homann/Thoman in seinem Standardwerk »Als die Ente Amok lief« (1989, vermutlich ver- griffen) und enthüllt am Duisburg-Meidericher Beispiel, wie derlei Namen zustandekommen können. Werner »Eia« Krämer etwa verdankte seinen Kurz- und Kose-Titel der schlichten Anekdote, dass er als Kind ihn provozierende Schüler mit Eiern beworfen hatte. Während sich als Quelle des Horst-»Pille«- Gecks-Gags nicht dessen Liebe zum Ball (Pille), sondern die Anatomie seiner Füße entpuppt, da Gecks »Füße wie eine Pille- Ente« hatte, wie sein Trainer Multhaup meinte. Und der Titel »Ente« war ja bereits an Essens Willi Lippens vergeben auf ewig.
Noch in den Siebziger- und Achtzigerjahrern – wenn auch spür- bar auslaufend – hielt sich das Phänomen, als »Schädel-Harry« Karger die Liga wuchtig beglückte, »Kobra« Wegmann sich geschmeidig durchs Defensivgeflecht wand, »Knipser« Dechei- ver einlochte und »Ata« Lameck irgendwie das Seine verrichte- te, ganz zu schweigen von »Katsche« Schwarzenbeck oder Marc »Kampfschwein« Wilmots. Seither und heute hingegen: einsa- me Einzelfälle. »Zecke« Neuendorf gab es da in Berliner Her- tha-Diensten; Bremens T. Frings, der aus unerfindlichen Grün- den »Lutscher« gerufen wurde und wird; Keeper Kahn, der sowohl als »Titan« wie auch »King« oder »King-Kong« in sei- nem zu Recht STRAF-Raum genannten Arbeitsterritorium Furcht und Schrecken verbreitete, bevor er zum humorigen ZDF-Experten verkam. Dann war’s vorbei mit dem »Namen machen«, und es blieben Putzigkeiten à la Schweini oder Poldi. Sogar als Trainer bringt man’s nur noch zum niedlichen Jogi, Klinsi oder Kloppo, eine einzige entwürdigende Infantilisierung.
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rischen Wurzeln, die seitdem einhergeht mit einer allumfassen- den Schnickschnackisierung des Fußballs. Kommod in den Sitz- schalen der Lounge-und-Event-Arenen aufgehoben, scheinen sich Fans zumindest weniger zu Kampfnamensschöpfungen inspiriert zu fühlen als einst auf den hölzernen Stehtribünen jener Spielstätten, die sie Kampfbahn nannten. ts
ereits 1989 interpretierte »Pille« Gecks den »Verlust der Spitznamen als ein Zeitzeichen von Veränderung«, nämlich als »Verlust der Hinterhöfe, der Straßen und
Gassen«, der Entfernung des Spiels von seinen proleta-
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