Page 21 - Freizeitarena 49
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Schmitz legt seine Trainingseinheiten allerdings in die späteren Tageszeiten, so ab 17 Uhr, wenn der Publi­ kumsverkehr im Rathaus zum Erliegen gekommen ist. So sind es auch beim Fototermin nur wenige Menschen,
die dem Athleten begegnen, als er die Treppen hinauf­ und hin­ abhastet. Erstaunte, manchmal amüsierte Blicke erntet er, und natürlich beim Gespräch als Einstieg die nun wirklich nahelie­ gende Frage: Warum macht man so etwas?
Weil man, so kurz zusammengefasst die Erklärung, wie zu so vielen Dingen im Leben irgendwann dazu gekommen ist. Der 27­Jährige ist ein Extremsportler mit vielseitigen Aktivitäten, an deren Anfangspunkt ein sportbegeisterter Vater stand, der den Sohn inspirierte. Wenig spektakulär die ersten Schritte: Rennradfahren, Langstreckenlauf, Marathon, als Konsequenz Triathlon. »Irgendwie bin ich in die Ultra­Sparte gerutscht.« Immer geht es um dasselbe Prinzip: seine Grenzen ausloten und erweitern, neue Ziele stecken, immer den Kick suchen. Irgend­ wann hieß der dann eben Treppenmarathon. Bekannte, die an der Tour d‘Energie mitradeln, haben das gemacht und empfoh­ len, weil es eine durchaus sinnvolle Ergänzung des Trainings­ programms sein kann und die Bein­ und Bauchmuskulatur stärkt. Also hat Schmitz das ausprobiert, erst als halbstündiges Trainingselement, dann auch bei Wettbewerben in Frankfurt und beim Outdoor­Rennen im sächsischen Gebirge von Rade­ beul bei Dresden. Das ist ein 24­Stunden­Lauf, bei dem die drei­ fache Marathondistanz zurückgelegt wird, nur eben vertikal ...
Treppenlauf ist eine junge Sportart mit langer Tradition: Zwar hatte es schon Anfang des 20. Jahrhunderts entsprechende Wettbewerbe gegeben – 1905 einen Lauf auf den Eiffelturm –, doch Fahrt aufgenommen hat das extreme Treiben erst in den letzten 40 Jahren. Ein Klassiker ist die Bewältigung der 1576 Stufen des Empire State Buildungs in New York. Was für die meisten Zeitgenossen vermutlich als Skurrilität gilt, setzte sich zudem immer mehr als Trainingsvariation für Leichtathleten oder Fußballer durch. In den letzten Jahren, als immer mehr Leute begannen, immer neue Herausforderungen zu suchen, kamen als Konsequenz ständig neue Wettbewerbe auf, allein 2012 weltweit knapp 200 offizielle Treppauf­Veranstaltungen.
Dabei, so erklärt Johannes Schmitz, muss man unterscheiden zwischen annähernd konventionellen Läufen, bei denen es zum Beispiel darum geht, ein Treppenhaus nur einmal zu bezwingen, darunter Sprintdistanzen mit weniger als 400 Stufen oder Ren­ nen mit Massenstarts, und den für ihn interessanten Ultra­Her­ ausforderungen von der Marathondistanz aufwärts. Deshalb hat es ihn auch gereizt, im Jahr 2016 in Hannover zu starten, als dort die zweite WM anberaumt war. Schmitz hat sie auf Anhieb gewonnen und seinen Titel im Februar 2017 erfolgreich vertei­ digt.19 Athleten gingen dabei an den Start – die Szene ist über­ schaubar. Man meldet sich an unter Nachweis bereits erbrach­ ter Leistungen, das Ganze hat, so scheint es, noch einen etwas informellen Charakter. Aber erhebliches Niveau: Schmitz absol­ vierte bei seinem zweiten Titelgewinn die Strecke des »Vertical­ Marathons« von 42,195 km in einer Zeit von 10 Stunden, 24 Minu­ ten und 34 Sekunden. 13 Etagen im Treppenhaus des Annastifts, eines Heim für Senioren, die das erstaunliche Sport­Fest als willkommene Abwechslung genießen. 194­mal durch ein enges Treppenhaus, mit nur wenigen kurzen Trinkpausen, 194­mal rauf, 194­mal wieder runter (was im Übrigen anstrengender ist),
Die Einsamkeit des Treppenläufers – ein Mann will nach oben.
über insgesamt 83.808 Stufen ... Wie fühlt man sich dabei, was denkt man? Es zieht sich, es ist »zäh wie Gummi«, sagt Schmitz.
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lich vor allem für das rund zweistündige Training, bei dem er, als wär‘s nicht schon so hart genug, einen 10 Kilogramm schwe­ ren Rucksack auf dem Rücken trägt. Eine einsame Schinderei. Bei Wettbewerben trifft man immerhin Gleichgesinnte, dafür fehlt allerdings Publikum an der engen Strecke. Eigentlich habe er Treppenmarathon über den Aspekt des Zusatztrainings hin­ aus vor allem bestritten, weil er das »relativ gut« kann, weil er darin erfolgreich ist. Doch er bestreitet auch ganze andere Sachen, die ihm mehr Spaß machen und ihm wichtiger sind: Er hat sich dem Kampfsport verschrieben und tritt als Thaiboxer auf; man kann ihm dabei auf Youtube zusehen. Am Ring gibt es Publikum, das reagiert; es ist ein vielfältigerer Sport als das Laufen durch Treppenhäuser. Momentan, so sagt Schmitz schließlich, denke er ans Aufhören. Da ist die Ausbildung an der Technikschule in Northeim, die er zurzeit absolviert, da ist seit ein paar Monaten auch eine kleine Tochter. Eine Umorientierung stünde an. Die vier, fünf Stunden Sport am Tag, die er früher auf­ wenden konnte, sind nicht mehr machbar. Soll er neue Heraus­ forderungen suchen? Oder sich langsam vom Extremsport zurückziehen? Im Februar ist es wieder so weit, dann steht in Hannover die dritte WM an. Eine Wildcard hat Johannes Schmitz als Titelverteidiger, ob er sie in Anspruch nimmt, weiß er noch nicht. Zumal er sich erst mal von einem Kreuzbandriss erholen muss. Den hat er sich beim Thaiboxen zugezogen, nicht im Trep­ penhaus. t.s.
nd dann, auf die Frage nach dem Warum zurückkom­ mend: »Eigentlich ist es so: Treppenmarathon ist anstrengend, und auch ein bisschen langweilig, eigent­
lich macht es nicht wirklich Spaß.« Letzteres gilt natür­


































































































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