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In Seesen ist durch- aus viel gewesen, und es ist immer noch sichtbar: in der Ausprägung der
hübschen Kleinstadt und in den Exponaten ihres Städtischen Muse- ums. Auch dessen Leiter Dirk Stroschein kann sich einer gewissen Selbstironie nicht enthalten, wenn er gleich zu Beginn seiner Führung durch die Räume des Museums auf den »Segen« der nahen A7 ver- weist: Seesen im Allgemeinen und sein Museum im Speziellen würden nämlich von den Baustellen und Staus profitieren, die zum Leidwesen der Autofahrenden den Verkehr behindern. Manche würden dann von der A7 abfahren, eine Pause in Seesen einlegen und die Vorzüge des properen Städtchens entdecken, das auf eine reiche Vergangenheit hindeutet: intakte Fachwerkzeilen, die gut erhaltene Burg Sehusa, schließlich das Museum, seit 1964 angesiedelt in einem ehemaligen Jagdschloss.
Allerdings hat es Seesen nicht nötig, von Autobahnproblemen zu profi- tieren, und von den Slogans »Tor zum Harz« oder »Fenster zum Harz« auch nicht. Ein Tor passiert man nur, ein Fenster nimmt niemand wahr, weil man schließlich einfach hindurchschaut. Das Museum aber ist zum Anschauen da – und das lohnt sich. Nicht nur, weil seine Exponate ansehnlich dargeboten werden, sondern weil sie von Zusammenhän- gen erzählen, die ungewöhnlich sind. Manche werden nur angerissen, etwa die Geschichte des weltberühmten Komponisten und Geigers Louis Spohr (1784-1859), der in Seesen seine Kinderjahre verbrachte. Dazu viele kleine Geschichten, erzählt anhand eines jeweils für sie ste- henden Objekts. Manches wird im Rahmen von Einzelausstellungen ausgebreitet, die oft nur klein, aber originell sind. Stroschein nennt exemplarisch eine zum Thema Seesen und Beat, die an Bands aus den 1960ern aus der Region erinnerte. Nicht nur zu solchen Anlässen gibt es eine lebendige Kommunikation mit der Bevölkerung, die Reminis- zenzen und Objekte beiträgt.
Vielfalt, die nicht unbedingt selbstverständlich ist, jedoch nicht den Ruhm des Hauses ausmacht. Der besteht primär in der Verbindung der Stadt nach New York – den weltberühmten Stein- way-Flügeln, deren gar nicht steiniger Weg zum Erfolg in Seesen begann, bzw. eigentlich in Wolfshagen, wo 1797 Heinrich Engelhard Steinweg geboren wurde. In Seesen etablierte sich die Familie ab 1836 als Klavierbauer, bevor sie 1850 in die USA auswanderte und – wie es das Klischee will – ihr Glück machte. Die Verbindung zur Heimat blieb, durch zahlreiche Besuche und Stiftungen. So geht der Steinway-Park auf die Familie zurück. Und im Museum steht der »erste Steinway«, ein 1853 in New York gebautes Tafelklavier, ein Flügel von 1864 und ein »Upright«-Klavier von 1862, welche die Klavierbaukunst des Hauses Steinway auch für Laien sichtbar machen. Zitate von so unterschiedli- chen Pianisten wie Billy Joel oder Lang Lang belegen die Beliebtheit der Klaviere, die abgesehen von New York auch in Hamburg gebaut werden – allerdings nicht mehr im Betrieb der Fami-
lie. Der Flügel von 1864 dient noch heute als Konzertinstru-
ment. Im nächsten Jahr, wenn hoffentlich die Corona-Fol-
gen überwunden sind, soll es im Museum wieder zu Kon-
zerten kommen, auch zu Lesungen und Vorträgen.
Etwas weniger glanzvoll,
dafür aber für Seesen ver-
mutlich wirkmächtiger ist
der zweite Schwerpunkt: In
der Stadt am Harz wurden
– hätten Sie's gewusst? –
die ersten deutschen Kon-
servendosen produziert.
Sie stifteten im Wesentli-
chen den Wohlstand der
Stadt, für dessen Entwick-
lung die Lage als Ver-
kehrsknotenpunkt förder-
lich war. Nach ersten bescheidenen Anfängen expandierte das Gewerbe, denn die Dosen wurden nicht nur hergestellt, sondern auch befüllt. Am bekanntesten dürfte die Firma Sonnen-Bassermann sein, deren Schriftzug noch heute vom Bahnhof aus zu sehen ist. Und als wäre es nicht genug, gibt es zum Dritten die Geschichte des jüdischen Kaufmanns und Landesrabbiners Israel Jacobson, der 1801 in Seesen eine vom Gedankengut der Aufklärung geprägte »Religions- und Industrieschule« gründete. Der Ansatz war modern und reformorien- tiert; dazu gehörte vor allem der damals ungewöhnliche Umstand, dass jüdische und christliche Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Jacobson ließ 1810 einen architektonisch beeindruckenden Tempel errichten und prägte das Bild der Stadt – intellektuell und städtebau- lich. 1938 wurde der Bau in der Pogromnacht zerstört, die jüdische Bevölkerung vertrieben und ermordet.
Seesen steht repräsentativ für den deutschen Föderalismus, für den Reichtum und die Vielfalt dessen, womit deutsche Provinz überrascht, aber auch dafür, wie viel davon zerstört worden ist. Mustergültig wird diese Geschichte im kleinen Museum aufbereitet und inspirierend
erzählt. Und wenn es einen dann nach frischer Luft gelüstet, locken das Harzvorland, der Steinway-Park oder seit sechs Jahren
»Seesen und Beats« – sehenswerte Einzelausstellungen
entdeckungen 25
museum- seesen.de
der »Steinway-Trail« nach Wolfshagen, dessen Bewälti- gung man sich in einem Stempelheft dokumentieren lassen kann. Warten Sie nicht auf den nächsten Stau, um sich das alles anzuschauen – ein vorsätzlicher
Besuch lohnt sich. t.s.
KONTAKT
Städtisches Museum Seesen
Wilhelmsplatz 4
38723 Seesen museum@seesen.de
Tel.: 05381-48891 www.museum-seesen.de www.steinway-trail.de www.stadtmarketing-seesen.de (Alle Angaben ohne Gewähr)