Page 21 - Freizeitarena
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   Würde man in Göttingen bei einer Straßen- umfrage in Erfahrung bringen wollen, ob der hiesigen Bevölkerung Adele Schake ein Begriff ist, würden vermutlich alle passen. Dabei ist sie eine historische Figur: 1921 war die Göttin- gerin die erste Frau, die das Deutsche Sport- abzeichen ablegte, das bis dahin nur Männern vorbehalten war.
  Von solch avantgardistischem
Flair war das Sportabzeichen lange Zeit recht weit ent- fernt, räumt Astrid Reinhardt ein, die beim Stadtsport- bund für die »Olympiade des kleinen Mannes« zuständig ist, wie die 1913 erstmals verliehene Auszeichnung zuweilen genannt wird. Es ist ein Begriff, der laut Rein- hardt ebenso »verstaubt« anmutet wie die Charakteri- sierung des Sportabzeichens als »Ehrenzeichen«. Lange Zeit hatte das Sportabzeichen etwas Turnväterliches, auch galt es eher als Zeitvertreib älterer Menschen.
Gerade in Zeiten, in denen die Vereinsbindung von Sport- lern nachlässt, in denen immer mehr Funsportarten in unverbindlicher Weise ausprobiert werden, die Individua- lisierung auch vor dem Sport nicht Halt macht und infor- melle Gruppen den klassischen Strukturen vorgezogen werden, kann so ein Imageproblem fatal sein – oder eine Chance! Denn man muss ja kein Vereinsmitglied sein, um das Sportabzeichen ablegen zu können, sondern kann sich allein oder in kleinen, selbstgewählten Teams auf die Prüfungen vorbereiten. Und vor allem lässt sich frei wäh- len, was bei den Prüfungen gezeigt werden soll.
Eine entsprechende Flexibili- sierung der Teilnahmebedingungen war ein erster Schritt, mit dem der Deutsche Olympische Sportbund das Deutsche Sportabzeichen reformiert hatte, um es attraktiver und zeitgemäßer zu gestalten. Aus den vier Gruppen Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Ausdauer kann, differenziert nach Geschlecht, Altersstufen und Leistungsklassen, jeweils eine Disziplin gewählt werden. Für Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinde- rungen gibt es ebenso ein eigenes Sportabzeichen wie für Kinder und Jugendliche. Auch die Prüfungsvoraus- setzungen sind heute weniger starr, zudem ist die Aus- sicht auf Erfolg wesentlich freundlicher gestaltet, indem es leichter geworden ist, zumindest schon mal eine Bronzemedaille zu ergattern. Und mit modernen Sportarten wie Rope Skipping wurde auch das Angebot geöffnet und erweitert.
All das lässt sich nach-
lesen, doch überzeu-
gender sind natürlich
Argumente von Akti-
ven. Zu denen gehört
schon fast unverzicht-
bar die Gymnasialleh-
rerin Petra Siebert, die selbst nicht mehr so ganz genau weiß, wie oft sie schon das Sportabzeichen abgelegt hat. Vielleicht 20 Mal? Allein die Tatsache, dass sie das nicht so genau weiß und dass sie Jahr für Jahr mitmacht, wäre ein erstes solches Argument. Sport hat sie immer schon getrieben, im Verein Tischtennis gespielt. Zum Sportabzeichen kam sie durch ihren Mann. Mehrere Gründe sprechen laut Siebert für eine Teilnahme: Die Palette der abgefragten Leistungsnachweise ist vielfäl- tig und ganzheitlich. Die regelmäßige Teilnahme erlaubt Vergleiche, lässt Entwicklungen, am besten als Fort- schritte, erkennen. Nicht zuletzt ist es das Sporttreiben in einer locker assoziierten Gruppe – sofern man sich (was alle Kenner unbedingt empfehlen) an gemeinsa- men Trainingsterminen beteiligt. Da trifft man nicht nur Gleichgesinnte, sondern findet auch Unterstützung durch kompetente Betreuer. Petra Siebert liebt es, am Feierabend im Jahnstadion Leichtathletik zu trainieren: »Wie sonst würde man sich aufraffen, Hochsprung oder Kugelstoßen zu betrei-
ben? Und wie käme man an die nötige Ausrüs- tung?« Die Prüfungen und die damit verbundenen Medaillen sind eher sekundär.
Dennoch stellt sich für den DOSB die Frage nach der Positionierung des Sportabzeichens zwischen Leistungs- und Breitensport, will sagen: nach der Zielgruppe. Die könnte man vielleicht als die »inter- essierte Laien« bezeichnen. Ähnlich wie in den 1970er Jahren die Trimm-Dich-Bewegung sollen mit dem Sport-
Gleichgesinnt: Aktive (Petra Siebert) und Prüfer (Ulrich Grimm)
INFO
Stadtsportbund Göttingen e. V. Haus des Sports, Sandweg 5, 37083 Göttingen
Tel. 0551/70701-30
info@ssb-goettingen.de (Alle Angaben ohne Gewähr)
    ... indem es leichter geworden ist, zumindest schon mal eine Bronze- medaille zu ergattern.













































































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